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DIE LUFT ÜBER DER LITERATUR   –   Heinz Bütler zum Film MERZLUFT

1997 erschien Jakob schläft. Ich las und traf auf Sätze wie diesen: «Das Wort Waserkopf hat uns das sachdienliche Leben erst später beigebracht.» Das «sachdienliche» Leben. Von sachdienlichen Mitteilungen war sonst im Radio die Rede, wenn am Landessender Beromünster der in Jakob schläft auch vorkommt, die Vermisstmeldungen durchgegeben wurden. Oder: «Brunswick stand auf der schwarzen Scheibe, es musste ein anderes Wort sein für Glück, der Stubenboden wankte. Der heisere Gesang des schwarzen Trompeters vertrieb die Brettschneiderin mit ihren drei Enkelkindern augenblicklich aus dem Kontor und liess uns enger zusammenrücken.» Es ist seltsam mit «sachdienlich»: Wenn ich darüber nachdenke, was Klaus Merz genau meint, komme ich nicht weiter. Doch während des Lesens verstehe ich genau, was er meint. Das ist paradox und entspricht eher einer Erfahrung beim Musikhören: Man versteht, während man hört. Der Rest ist Nachhall im Innern oder Analyse.

Eigentlich will ich sagen, dass Jakob schläft ein Wunderwerk ist. Die Geschichte ist schnell erzählt. Sie ist zwar sehr berührend, doch das Ereignis ist die Sprache, aus der sie herauswächst. «Als erster begann Sonne, mein kleiner Bruder, in der Folge seiner langen, ereignislosen Vormittage, das Herz allmählich an die Ultrakurzwellen zu verlieren.» «Bevor wir zu Bett gingen, trug der Sputnik seinen Hund vorbei.» - In Jakob schläft heisst das Rad für die Sendersuche «Weltenrad» und der Grammophondeckel die «Hirnschale des Apparats.»

Ich las zu meinem Glück alles, was vor Jakob schläft erschienen war und alles, was Klaus Merz seither geschrieben hat, trug mich mit dem Gedanken, die Erzählung Der Argentinier zu verfilmen, wozu mich Klaus Merz ermutigt hatte. Der Verzicht ist nicht Resignation, sondern Einsicht: Die Sprache ginge in der Fiktion verloren. Dialoge gibt es bei Merz kaum, Handlung spielt sich hauptsächlich in Köpfen und Herzen ab.

Aber: Es war eine Herausforderung, die Merz-Welt und ihre Sprache dokumentarisch zu erkunden, zusammen mit Kennern des Werks von Klaus Merz, die von beidem auch nicht loskommen. So kam es für den Film auch zum Treffen der Herausgeber des Hörbuchs Merzluft mit Gedichten und Prosatexten des Dichters und Freunds. 

Mit Klaus Merz; Melinda Nadj Abonji, Markus Bundi, Robert Hunger-Bühler, Peter von Matt, Manfred Papst
Produktion: HOOK Film, 2015








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